Künstler*in am Dom

Dom zu Brandenburg an der Havel, Schiff © Sabrina Jung

Das Residenz-Stipendium „Künstler*in am Dom“ wird alle zwei Jahre durch das Domstift zu Brandenburg an der Havel und die Stiftung St. Matthäus, Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) verliehen. Im Rahmen des Stipendiums leben und arbeiten die Künstler*innen drei Monate am Dom zu Brandenburg an der Havel. Eine Ausstellung im Dom und eine Publikation sind das Ergebnis. Teil des Stipendiums ist auch die Zusammenarbeit mit der Kunstklasse des Evangelischen Domgymnasiums in Brandenburg.

2021: Ivana Rohr – »You are not alone«

Ivana Rohr, Foto: © Josephin Hanke

»You are not alone« ist einer der bekanntesten Songtitel des 2009 verstorbenen Popsängers Michael Jackson. Seine berührende Botschaft unbedingter Geborgenheit kippt jedoch ins Unheimliche, sobald die schon zu Lebzeiten gegen den Sänger erhobenen Vorwürfe des Kindesmissbrauchs ins Bewusstsein treten. Genau dieser Kippmoment beschäftigte die Hannoveraner »Künstlerin am Dom« Ivana Rohr: Was geschieht, wenn kulturelle Vorbildfiguren durch ihren Lebenswandel plötzlich moralisch fraglich werden? Wie werden innere Zweifel und Brüche im Glauben an etwas oder jemanden verhandelt, nicht nur auf rationaler, sondern auch auf emotionaler Ebene? Ausgehend von ihrer Beschäftigung mit dem sogenannten »King of Pop«, dessen Verehrung religiöse Züge annehmen konnte, weitete Ivana Rohr die Frage mit einer Video- und Textilinstallation in der Sakristei des Brandenburger Doms auf weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, in denen Missbrauchsfälle bekannt wurden – nicht zuletzt auf den Bereich der Kirchen.

Ivana Rohr arbeitete während ihres Aufenthalts am Dom zu Brandenburg mit der Kunstklasse des Evangelischen Domgymnasiums. Im Dialog mit den Schüler*innen entstand eine Ausstellung zum Thema »Alltagssexismus«.

Ivana Rohr, geboren in Darmstadt, studierte zunächst literarisches Schreiben in Hildesheim, bevor sie Meisterschülerin bei Candice Breitz und Eli Cortiñas an der HBK in Braunschweig wurde. In ihren letzten Arbeiten beschäftigte sie sich mit den strukturellen Problemen des immer noch vorhandenen Geniebegriffs in Kunst und Kultur, der vor allem in den Debatten um sogenannte »Cancel Culture« immer wieder in seiner gesamten Problematik zu Tage tritt. Auch die Arbeit im Dom hinterfragt im selben Kontext nach den Mechanismen von Ikonisierung und strukturellem und instutionellem Machtbissbrauch.

2019: Jan Neukirchen – »copypasta«

Jan Neukirchen © Stefanie Krüger

Inspiriert von der historischen Rolle der Kirche, die stets auch Produzentin und Archivarin von Handschriften war, entwickelte der Informatiker und Absolvent der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Jan Neukirchen eine Installation, in der intelligente Maschinen Texte in Form von gesprochener Sprache untereinander weitergaben. Dabei kamen maschinelle Spracherkennung und Sprachsynthese zum Einsatz, wie sie auch von Apple, Google, Amazon oder Microsoft (Siri, Google Assistant, Alexa, Cortana) verwendet werden. Durch den ständigen Wechsel zwischen textlicher Repräsentation und akustischer Überlieferung sowie durch die heute noch unvollkommen synchronisierten Spracherkennungsalgorithmen kam es zu einer zunehmenden Veränderung der ursprünglichen Information.

Im Rahmen des Workshops »Data Art 101« entwickeln Schüler*innen der Kunstklasse des Evangelischen Domgymnasiums unter Anleitung von Jan Neukirchen eigene künstlerische Arbeiten, die ihren Ausganspunkt im digitalen Material hatten.

Jan Neukirchen beschäftigt sich mit Daten als künstlerischem Material. Er hat an der Hochschule Furtwangen, der CVUT Prag und der HBK Braunschweig unter anderem bei Bogomir Ecker und Raimund Kummer studiert. Zusammen mit Christian Lohre hat er 2014 Gruppe Stumpf gegründet. 2020 wurde er zum Meisterschüler von Thomas Rentmeister ernannt. Seit 2021 forscht und lehrt er an der Leibniz Universität in Hannover.

2017: Ingo Mittelstaedt –  »KORRIDOR«

Foto: Leo Seidel

Im Rahmen des Projektes  »Expeditionen. Künstlerische Erkundungen im Reformationsland Brandenburg« setzte sich Ingo Mittelstaedt mit der Geschichte des Doms und der Sammlung des Dommuseums auseinander: Museumsstücke, Fundstücke und eigene Fotografien verschmolzen zu spannungsreichen Bildkompositionen, die einen künstlerischen Transitraum, einen »Korridor«, durch den Brandenburger Dom legten.

Ingo Mittelstaedt über seinen künstlerischen Ansatz: »2011 habe ich begonnen, Fotografien in Museen zu bringen. Aus der Stilleben-Fotografie kommend, dachte ich, dass es interessant wäre, mein Atelier zu verlassen und an Orten zu arbeiten, in denen bereits Objekte zu finden sind, anstatt sie im Atelier zu schaffen oder zu inszenieren. (…) Ich habe mich gefragt: Was passiert, wenn ich die Objekte, die ich in einem Museum anschaue, fotografiere? Was passiert, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht auf die Ausstellung selbst, sondern auf die Art ihrer Präsentation richte – auf die Brüche, die Zufallsphänomene oder die Deformationen? Und schließlich: Was passiert, wenn ich diese Fotos dann ohne Kontextinformationen mit anderen Fotos von Objekten und Skulpturen, egal aus welcher Epoche oder aus welchem Museum sie kommen, zeige?«

Gemeinsam mit den Schüler*innen des Evangelischen Domgymnasiums setzte Ingo Mittelstaedt in einer Reihe von Workshops sein Projekt am Dom fort. Im Rahmen der Beschäftigung mit der Ausstellung und dem Künstler erstellten die Schüler*innen ihre eigenen Arbeiten, die in einer Ausstellung präsentiert wurden.

Ingo Mittelstaedt studierte bis 2009 an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. In seinen Fotografien inszeniert Mittelstaedt (*1978, Berlin) Objekte und Material aus unterschiedlichsten Themenfeldern und schreibt ihnen dadurch eine neue Bedeutung zu. Dadurch schafft er Bildkompositionen, die sich zwischen Stillleben und Abstraktion verorten und die Grenzen des Mediums Fotografie erkunden und hinterfragen.

Ort:
Dom zu Brandenburg an der Havel
Burghof 9
14776 Brandenburg an der Havel