Geschichte
Im südlichen Tiergartenviertel entstand in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine großbürgerliche Bebauung. Höhere Beamte, Unternehmer, Künstler und Wissenschaftler ließen sich hier nieder. Dies brachte diesem Viertel später den Namen »Geheimratsviertel« ein. Das Gebiet wurde von der Dreifaltigkeitskirche aus betreut, die aber weit entfernt lag. So fanden Bestrebungen zur Gründung einer eigenen Gemeinde auch an höchster Stelle Gehör.
Am 5. Oktober 1843 wurde ein Kirchenbauverein gegründet, der für einen Kirchenbau im neu geplanten Stadtquartier sorgen sollte. Den Vorsitz führte der Geheime Rat Johann Friedrich von Koehnen. Ein Bauplatz für die St. Matthäus-Kirche wurde dem Verein bereits im selben Jahr, am 9. Dezember, durch den Mediziner Dr. Vetter geschenkt, der das Gebiet zwischen der damaligen Tiergartenstraße und der Grabenstraße, dem heutigen Reichpietschufer am Landwehrkanal, baulich erschließen wollte. Die Kirche sollte zentral in dieses Gebiet gebaut werden, damit eine Straße angelegt werden konnte – die Matthäi-Kirchstraße mit dem Matthäi-Kirchplatz. Am 1. Januar 1844 schickte von Koenen ein Schreiben an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. mit der Bitte um die Baugenehmigung für die Kirche. Diese erfolgte am 27. Januar 1844, gemeinsam mit der Baugenehmigung für die Straße des Dr. Vetter.
Der Kirchenbau wurde nach einem Entwurf des Königlichen Oberbaurates Friedrich August Stüler errichtet. Der Schinkel-Schüler Stüler gilt als der produktivste und bedeutendste Architekt seiner Zeit und St. Matthäus wurde als eine seiner schönsten Kirchenbauten gerühmt.
Die neue Kirche wurde am 17. Mai 1846 eingeweiht. Zu den Gemeindemitgliedern gehörten die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, der Verleger Paul Parey und der Arzt Rudolf Virchow. Theodor Fontane setzt dem ersten Pfarrer von St. Matthäus, Carl Büchsel, ein literarisches Denkmal.
Weil sie inmitten von Feldern, Gärten und einer Parklandschaft erbaut wurde, nannten die Berliner das Kirchlein liebevoll »des lieben Gottes Sommervergnügen« oder auch «Polkakirche« – wegen eines in der Nähe gelegenen Tanzplatzes.
Gottfried Keller dichtete:
Wie nach dem Rezept geschaffen,
Fein und niedlich ist der Tempel,
Angemess’nen jungen Leuten
Ein erbaulich Bauexempel!
Byzantinisch jede Fuge,
Bogen, Bögelchen und Kehlen,
Nur die phantasiegebornen
Alten Fratzenbilder fehlen.
Durch die byzantinschen Pförtchen
Rauscht es leis in Samt und Seiden;
Drinnen glitzert’s fromm und geistreich
Wie zu der komnenen Zeiten.
Hofhistoriographen lispeln
Mit ergrauten Paladinen;
Nach den Mosaiken blicken
Kammerherrn mit Betermienen.
Und die Kanzel mit dem glatten
Superintendent garnieret –
Ja, den Glaspalast zu London
Hätte dieses Werk gezieret.
Gottfried Keller
(ges. Werke Berlin, 1916,Bd.X, s.98) Wanderbilder 1852
Das Viertel um die Kirche stand den Stadtplanungen der Nationalsozialisten im Wege. In Vorbereitung des Ausbaus zur Welthauptstadt »Germania« wurden für die Nord-Süd-Achse schon vor dem Zweiten Weltkrieg viele Häuser abgerissen. Auch das Pfarrhaus wurde abgetragen, die Kirche sollte den Plänen der NS-Stadtplaner zufolge weichen. Sie überstand als Ruine die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges.
Der Zweite Weltkrieg bewirkte die völlige Zerstörung des die Kirche einstmals umgebenden vornehmen Stadtquartiers am Tiergarten. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges brannte die Kirche in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945 unter russischem Artilleriebeschuss vollständig aus und blieb für mehr als zehn Jahre Ruine. Ihr Wiederaufbau erfolgte in den Jahren 1956 bis 1960 auf Anregung des damaligen Bischofs von Berlin, Otto Dibelius, unter der Leitung des Architekten Jürgen Emmerich. Die Kirche steht heute unter Denkmalschutz.
Kontinuität und Veränderung spiegeln sich an dieser Kirche exemplarisch: Die Kirche entstand beim Wiederaufbau im Außenbau getreu den historischen Vorgaben. Im Innern entschied man sich jedoch für eine moderne Neugestaltung.
Das Umfeld der Kirche wurde nach dem Krieg einer völlig neuen Nutzung zugeführt. Es wurde – an der Nahtstelle zwischen Ost- und West-Berlin – zum Kulturforum entwickelt. Auch die Kirche ist inzwischen ein Teil des Kulturforums geworden.
Am 26. September 1999 übergab Bischof Dr. Wolfgang Huber in einem Festgottesdienst St. Matthäus ihrer neuen Bestimmung als Zentrum der Kulturstiftung St. Matthäus. Im frisch entstandenen Berliner Stadtraum zwischen Kulturforum und Potsdamer Platz hat die Citykirche St. Matthäus ihre Bedeutung zurück gewonnen als Ort festlicher Gottesdienste und stiller Anbetung, als Raum für Konzerte und die Begegnung mit zeitgenössischer Kunst.
Matthäus, der ursprünglich Levi hieß und ein Zöllner am See Genezareth war, wurde zum Jünger Jesu. Als er zu dem engeren Kreis um Jesus hinzukam, nahm er den Namen Matthäus an, was in der hebräischen Sprache »ein Geschenk Gottes« bedeutet.
In der christlichen Tradition ist er als einer der vier Evangelisten bekannt. Er war tief im jüdischen Erbe verwurzelt. Sein großes Thema ist das Reich Gottes, das Himmelreich, das immer wieder mit der sichtbaren Kirche verglichen wird. Dabei lenkt er den Blick darauf, wie der christliche Glaube angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen im Leben der Menschen Gestalt gewinnen kann.
Erster Pfarrer von St. Matthäus war der 1803 in Schönfeld/Uckermark geborene Carl Büchsel. Von 1853 bis an sein Lebensende blieb der begnadete Prediger und Generalsuperintendent in St. Matthäus tätig. Berühmt und bis heute lesenswert sind seine »Aufzeichnungen eines Landpfarrers«.
Theodor Fontane setzte dem Menschenfreund und begnadeten Prediger von St. Matthäus, dem späteren Generalsuperintendenten Dr. Carl Büchsel, ein literarisches Denkmal.
Carl Büchsel blieb immer nahe bei den Sorgen und Nöten der Berliner. Am Beginn der großen sozialen Umwälzungen in der werdenden Großstadt Berlin engagierte er sich gemeinsam mit seinem Freund Johann Baptist Gossner für die Errichtung des Elisabeth-Krankenhauses in der nahe gelegenen Lützowstraße. In dem von Diakonissen geführten Krankenhaus empfingen erstmals auch minder- und schlecht bemittelte Frauen umfassende medizinische Pflege. Nachdem J. B. Gossner sich in Indien um sozial ausgegrenzte Menschen kümmerte, eine Arbeit, aus der später die Gossner-Mission hervorging, sammelte Carl Büchsel weiter finanzielle Mittel, um die schnell wachsende Christenschar in Indien von Berlin aus zu unterstützen. Gern besuchen bis heute Christen der Evangelischen Kirche in Indien (Gossner-Kirche) die St. Matthäus-Kirche.
Das bloße Dasein der früheren Provinzialkirche, an der die Generalsuperintendenten der Niederlausitz und der Neumark ihren Dienstsitz hatten, prägt den Zusammenhang von Kontinuität und Veränderung. Dies gilt in besonderer Weise angesichts der Entwicklung am nahegelegenen Potsdamer Platz. Vor diesem Hintergrund hat sich die Evangelische Kirche zur Aufgabe gemacht, an St. Matthäus eine Begegnungsstätte von zeitgenössischer Kunst und Kirche zu etablieren.
1912 wird in der St. Matthäus-Kirche Paul Tillich (20.08.1886–22.10.1965) zum Pfarrer der Evangelischen Kirche ordiniert. Zusammen mit Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Rudolf Bultmann und Karl Rahner wird er zu den bedeutendsten deutschen Theologen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezählt.
Geboren am 20. 8. 1886 im Pfarrhaus von Starzedel bei Guben, studierte Paul Tillich Philosophie und Theologie in Berlin, Tübingen und Halle/S. Er promoviert anschließend zum Doktor der Philosophie und Theologie. Er ist Privatdozent für Theologie in Berlin, Professor in Marburg, Dresden und Leipzig. Er ist Mitbegründer des Kirchlichen Kunstdienstes in Dresden.
1933 wird Tillich wegen seines Eintretens für jüdische Studenten vom Amt suspendiert. Max Horckheimer überredet Tillich, ins Exil zu gehen. Er folgt einem Ruf als Gastprofessor an das Union Theological Seminary nach New York. Tillich bleibt in den USA und lehrt bis zu seinem Tode 1965 als Professor für Philosophie und Theologie am Union Theological Seminary, an den Universitäten von Chicago, und in Harvard. Sein Wirken als Theologe und Philosoph begründet seinen weltweiten Ruf, der auch aus der umfangreichen internationalen Sekundärliteratur sichtbar wird.
Am 15. November 1931 wird in der St. Matthäus-Kirche der 25-jährige Theologe Dietrich Bonhoeffer (04.02.1906-08.04.1945) für seinen Dienst als Pfarrer der Evangelischen Kirche durch den Generalsuperintendenten D. Vits ordiniert.
Anlässlich des 100. Geburtstages am 4. Februar 2006 feierte die Evangelische Kirche in Deutschland in St. Matthäus einen festlichen Gedenkgottesdienst, in dem Dr. Rowen Williams, Erzbischof von Canterbury und Primas der Anglikanischen Kirche, die Predigt hielt. Der Direktor der Stiftung St. Matthäus, Pfarrer Christhard-Georg Neubert, trat zuvor an den Berliner Maler und Bildhauer Johannes Grützke mit der Bitte heran, eine Bronzetafel zur Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer zu schaffen. Johannes Grützke schenkte seinen Entwurf der Stiftung. Die von ihm geschaffene Gedenktafel wurde am Vorabend des 100. Geburtstages in einem Festakt übergeben, bei dem der Kurator der Stiftung St. Matthäus, Prof. Dr. Helmut Reihlen, den Festvortrag hielt. Seitdem erinnert die Gedenktafel neben dem Hauptportal der Kirche an den bedeutenden Theologen und tapferen Widerstandskämpfer, der im Eintreten gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft am 9. April 1945 in Flossenbürg den gewaltsamen Tod fand.