Deep Time – Der ferne Klang
Jakob Mattner
Jakob Mattner thematisiert in seiner neuen Ausstellung »Deep Time – Der ferne Klang« in St. Matthäus die Zeit vor dem Menschen. Milliarden von Jahren liegen zwischen der Entstehung unserer Erde und der Entstehung menschlichen Lebens. Dazwischen liegt die »tiefe Zeit«, die uns weitgehend unzugänglich bleibt.
»Die Erde war in ihrer Entstehung kein grünes Paradies, sondern das Ergebnis einer Serie von Katastrophen«, sagt Jakob Mattner – und zeigt in seiner Serie »Waste Lands« geheimnisvoll dunkle Niemandslandschaften, in denen Ahnungen von Formen aufscheinen. Die 2023 entstandenen Bilder deuten auf eine überstandene Katastrophe. Wie sturmgepeitschte Hinterlassenschaften schlingern Pflanzen wurzellos in der Luft oder sie treiben einem neuen Raum zu, der sich abzuzeichnen beginnt.
In der Serie »Deep Time« erscheinen pflanzliche und kosmische Formen. Die Serie »Fundamentum Organicum« (2023) vergegenwärtigt die Ansiedlung pflanzlichen Lebens auf dem Planeten. »Farne«, Abkömmlinge der frühen Farnwälder, die durch Photosynthese das Licht in Materie umwandeln, zeigen als Monotypien sediment-artige, fossile Spuren der fernen Zeit der Erdwerdung.
»Am Anfang war die Erde wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe. Und Gott sprach: Es werde Licht!«, heißt es im ersten Schöpfungsbericht der Bibel. Beide, die Dunkelheit der noch ungeformten Materie und das erste Licht der Schöpfung führt Jakob Mattner zusammen: Licht und Schatten, hell und dunkel, gehören zu seinen künstlerischen Materialien, die sich in seinen Bildern dynamisch gegenseitig durchwirken und verdichten.
»Alpha« heißt Jakob Mattners eigens für den Kirchenraum geschaffene Arbeit über dem Altar der St. Matthäus-Kirche. Traditionell berühren sich »Alpha und Omega«, Anfang und Ende, an diesem exponiertesten Ort des Kirchenraums, an dem sich im Abendmahl Geist und Materie verdichten und sich die Schatten des Kerzenlichts abzeichnen. Mattner inszeniert den Ursprung allen Seins goldschimmernd als Ursprung des Lichts, das allen großen Physikern ein Rätsel blieb.
Am Ende stellt sich – gegenüber dem Altar unter der Orgelempore der Kirche – die Frage nach dem Menschen in Jakob Mattners Körpertüchern von 1975: Der menschliche Körper verharrt in einer mit malerischen Mitteln fixierten Momentaufnahme. »Was wir als Helligkeit sehen, ist das Grundmaterial, das Tuch.«, sagt Jakob Mattner, »Was ich hinzugefügt habe, sind die Schatten.«
Im geheimnisvollen Wechsel von Licht und Schatten wird der Kirchenraum zum Resonanzraum des ersten Schöpfungswortes, des fernen Klangs vom Ursprung des Werdens. »Es gibt einen Klang im Kosmos, den wir nicht hören.«, sagt Jakob Mattner zu seiner titelgebenden Arbeit »Der ferne Klang«, mit der er mithilfe eines frühen Speichermediums den Titel einer Oper von Franz Schreker aufgreift, »aber wir wissen von den Astrophysikern: der Kosmos klingt.«
Zur Ausstellung gehört ein umfangreiches Begleitprogramm mit Lesungen zum Phänomen des Lichts mit Sophie Rois, Martin Wuttke, Hanns Zischler, ein Vortrag von Bernd Scherer und ein Gespräch mit Verena Auffermann.