Künstler*in am Dom

Dom zu Brandenburg an der Havel, Schiff © Sabrina Jung
Seitdem werden im Zweijahresrhythmus künstlerisch-qualitativ herausragende junge, also noch nicht arrivierte Künstlerinnen und Künstler für eine begrenzte Zeit als Artist-in-Residence an den Brandenburger Dom eingeladen. Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler sind oder waren in der Regel Meisterschüler-Absolventen einer renommierten Kunsthochschule, wie der Hochschule der Bildenden Künste Braunschweig, der Universität der Künste Berlin oder der Weißensee Kunsthochschule Berlin.
Der Brandenburger Dom, der nicht nur die Mutterkirche der Mark Brandenburg ist, sondern mit seinem Archiv, der Bibliothek, dem Dommuseum, dem Textilbestand und der 300 Jahre alten Wagner-Orgel auch eine Vielzahl kulturhistorisch bedeutender Schätze bewahrt, erschließt und kommuniziert, ist als lebendiger Bildungs-, Kultur- und spiritueller Ort für ein solches Programm besonders geeignet.
Das Programm umfasst mehrere Ziele: Den jungen Künstlerinnen und Künstlern soll nach der akademischen Ausbildung ein erstes öffentliches Forum geboten werden. Alte und zeitgenössische Kunst sollen produktiv miteinander konfrontiert werden und den Menschen der Stadt Brandenburg an der Havel und des Landes Brandenburg soll die Gelegenheit gegeben werden, Gegenwartskunst in der Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und der kulturellen Tradition kennenzulernen.
Die Künstlerin oder der Künstler wohnt für drei Monate in einer Wohnung direkt auf dem Burghof, einschließlich eines Atelierraumes. Sie oder er sind für diese Zeit Teil der Gemeinschaft am Dom und können sich in dem Maß dem Leben vor Ort anschließen, wie sie es wollen. Sie erhalten keinerlei inhaltliche Vorgaben hinsichtlich ihrer Arbeit. Am Ende des Aufenthaltes wird eine Ausstellung mit den während des Projekts entstandenen Werken zusammengestellt.
Integraler Bestandteil des Programms ist darüber hinaus eine mehrwöchige Zusammenarbeit mit der Kunstklasse des Domgymnasiums. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten unter Anleitung der Künstlerin oder des Künstlers und in Begleitung einer Kunstpädagogin Ingeborg Lockemann an Werken, die sie in einer eigenen Ausstellung präsentieren. Die abschließende Ausstellung des Artist in residence-Programms wird von einem Künstlergespräch und Führungen durch die Schau begleitet. Das Programm und die Künstlerin oder der Künstler werden an die lokale, regionale und überregionale Presse kommuniziert und beworben.
Seit der Initiierung des Programms haben folgende Künstlerinnen und Künstler am Dom gearbeitet: Ingo Mittelstaedt mit dem Projekt »KORRIDOR“ (2017)« Jan Neukirchen mit »copypasta« (2019), Ivana Rohr mit »You are not alone« (2021) und Jacopo Dal Bello mit »Zeitfenster. Der Dom in der digitalen Welt« (2023). Aktuell laufen die Vorbereitungen zur Besetzung und Gestaltung des Programms für das Jahr 2025.
Mit Tibor Koehne wird 2025 ein junger Filmemacher das Künstler-Stipendium am Dom zu Brandenburg erhalten. Auf der Suche nach seinem bevorzugten Medium hat der 1998 in Berlin geborene, im Tessin aufgewachsene und bereits mehrfach ausgezeichnete Koehne seit 2018 an der Kunsthochschule Berlin Weißensee Malerei studiert. Seine Professor*innen waren dort unter anderen Mariechen Danz und Antje Engelmann. Zudem konnte Koehne die Klasse für experimentellen Film von Professorin Nina Fischer an der Universität der Künste Berlin besuchen. Von Anfang an galt sein besonderes Interesse dem bewegten Bild, dessen Möglichkeiten er vor dem breiten Horizont der Bildenden Kunst an der Hochschule ausloten konnte. Auf Reisen und Ausstellungsbesuchen hat sich der Künstler einen ungewöhnlich guten Überblick über die internationale, zeitgenössische Film- und Kunstszene verschafft. Koehnes Arbeiten gehen besonders auf Orte, Menschen und Zeiträume ein. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach unserer Existenz.
In der Recherchephase will Koehne die Ruhe am Dom für sich nutzen, um eine Filmgeschichte zu entwickeln. Für die Umsetzung wird er dann mit Schüler*innen des Domgymnasiums zusammenarbeiten und sie zu eigenen Arbeiten animieren.
Im Herbst 2025 sind Koehnes Werke in einer Einzelausstellung am Dom zu sehen. Die in Zusammenarbeit mit ihm entstandenen Arbeiten des Kunstkurses des Domgymnasiums werden zeitgleich in einer Schüler*innenausstellung gezeigt.
Jacopo Dal Bello (*1989 Veneto, Italien) gehört zu jenen Nachwuchskünstlern, die sich trotz omnipräsenter digitaler Bilddaten dem Handwerk der Malerei stellen. Der Künstler, der auch als Musiker arbeitet und seine Meisterschülerzeit an der Universität der Künste in Berlin verbringt, experimentiert ausführlich mit Inhalten und Techniken. Dabei verfolgt er eine Strategie der Dekonstruktion. Der Bildraum wird aufgebrochen und uneindeutig. Dal Bello sampelt und collagiert. Er zitiert nicht nur aus der Kunstgeschichte, von der er in seiner Kindheit im Veneto umgeben war, sondern aus allen Bildquellen, die ihn im Bereich des Comic, der Landschaft, der Natur und der Topografie als Ortshinweis interessieren. Subjektive und genormte Zeichen, Individuelles und Konventionelles, Kulturelles und Profanes erscheinen eng beieinander. Konsequent unterstreicht Dal Bello die Einzigartigkeit und Seltenheit, die ein handwerklich hergestelltes Bild in Zeiten unendlicher Reproduktionsmöglichkeiten heute darstellt.

Ivana Rohr, Foto: © Josephin Hanke
»You are not alone« ist einer der bekanntesten Songtitel des 2009 verstorbenen Popsängers Michael Jackson. Seine berührende Botschaft unbedingter Geborgenheit kippt jedoch ins Unheimliche, sobald die schon zu Lebzeiten gegen den Sänger erhobenen Vorwürfe des Kindesmissbrauchs ins Bewusstsein treten. Genau dieser Kippmoment beschäftigte die Hannoveraner »Künstlerin am Dom« Ivana Rohr: Was geschieht, wenn kulturelle Vorbildfiguren durch ihren Lebenswandel plötzlich moralisch fraglich werden? Wie werden innere Zweifel und Brüche im Glauben an etwas oder jemanden verhandelt, nicht nur auf rationaler, sondern auch auf emotionaler Ebene? Ausgehend von ihrer Beschäftigung mit dem sogenannten »King of Pop«, dessen Verehrung religiöse Züge annehmen konnte, weitete Ivana Rohr die Frage mit einer Video- und Textilinstallation in der Sakristei des Brandenburger Doms auf weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, in denen Missbrauchsfälle bekannt wurden – nicht zuletzt auf den Bereich der Kirchen.
Ivana Rohr arbeitete während ihres Aufenthalts am Dom zu Brandenburg mit der Kunstklasse des Evangelischen Domgymnasiums. Im Dialog mit den Schüler*innen entstand eine Ausstellung zum Thema »Alltagssexismus«.
Ivana Rohr, geboren in Darmstadt, studierte zunächst literarisches Schreiben in Hildesheim, bevor sie Meisterschülerin bei Candice Breitz und Eli Cortiñas an der HBK in Braunschweig wurde. In ihren letzten Arbeiten beschäftigte sie sich mit den strukturellen Problemen des immer noch vorhandenen Geniebegriffs in Kunst und Kultur, der vor allem in den Debatten um sogenannte »Cancel Culture« immer wieder in seiner gesamten Problematik zu Tage tritt. Auch die Arbeit im Dom hinterfragt im selben Kontext nach den Mechanismen von Ikonisierung und strukturellem und instutionellem Machtbissbrauch.

Foto: Jacqueline Steiner

Foto: Jacqueline Steiner

Foto: Jacqueline Steiner

Jan Neukirchen © Stefanie Krüger
Inspiriert von der historischen Rolle der Kirche, die stets auch Produzentin und Archivarin von Handschriften war, entwickelte der Informatiker und Absolvent der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Jan Neukirchen eine Installation, in der intelligente Maschinen Texte in Form von gesprochener Sprache untereinander weitergaben. Dabei kamen maschinelle Spracherkennung und Sprachsynthese zum Einsatz, wie sie auch von Apple, Google, Amazon oder Microsoft (Siri, Google Assistant, Alexa, Cortana) verwendet werden. Durch den ständigen Wechsel zwischen textlicher Repräsentation und akustischer Überlieferung sowie durch die heute noch unvollkommen synchronisierten Spracherkennungsalgorithmen kam es zu einer zunehmenden Veränderung der ursprünglichen Information.
Im Rahmen des Workshops »Data Art 101« entwickeln Schüler*innen der Kunstklasse des Evangelischen Domgymnasiums unter Anleitung von Jan Neukirchen eigene künstlerische Arbeiten, die ihren Ausganspunkt im digitalen Material hatten.
Jan Neukirchen beschäftigt sich mit Daten als künstlerischem Material. Er hat an der Hochschule Furtwangen, der CVUT Prag und der HBK Braunschweig unter anderem bei Bogomir Ecker und Raimund Kummer studiert. Zusammen mit Christian Lohre hat er 2014 Gruppe Stumpf gegründet. 2020 wurde er zum Meisterschüler von Thomas Rentmeister ernannt. Seit 2021 forscht und lehrt er an der Leibniz Universität in Hannover.

Foto: Jacqueline Steiner

Foto: Jacqueline Steiner

Ingo Mittelstaedt, »KORRIDOR«, 2017
Im Rahmen des Projektes »Expeditionen. Künstlerische Erkundungen im Reformationsland Brandenburg« setzte sich Ingo Mittelstaedt mit der Geschichte des Doms und der Sammlung des Dommuseums auseinander: Museumsstücke, Fundstücke und eigene Fotografien verschmolzen zu spannungsreichen Bildkompositionen, die einen künstlerischen Transitraum, einen »Korridor«, durch den Brandenburger Dom legten.
Ingo Mittelstaedt über seinen künstlerischen Ansatz: »2011 habe ich begonnen, Fotografien in Museen zu bringen. Aus der Stilleben-Fotografie kommend, dachte ich, dass es interessant wäre, mein Atelier zu verlassen und an Orten zu arbeiten, in denen bereits Objekte zu finden sind, anstatt sie im Atelier zu schaffen oder zu inszenieren. (…) Ich habe mich gefragt: Was passiert, wenn ich die Objekte, die ich in einem Museum anschaue, fotografiere? Was passiert, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht auf die Ausstellung selbst, sondern auf die Art ihrer Präsentation richte – auf die Brüche, die Zufallsphänomene oder die Deformationen? Und schließlich: Was passiert, wenn ich diese Fotos dann ohne Kontextinformationen mit anderen Fotos von Objekten und Skulpturen, egal aus welcher Epoche oder aus welchem Museum sie kommen, zeige?«
Gemeinsam mit den Schüler*innen des Evangelischen Domgymnasiums setzte Ingo Mittelstaedt in einer Reihe von Workshops sein Projekt am Dom fort. Im Rahmen der Beschäftigung mit der Ausstellung und dem Künstler erstellten die Schüler*innen ihre eigenen Arbeiten, die in einer Ausstellung präsentiert wurden.
Ingo Mittelstaedt studierte bis 2009 an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. In seinen Fotografien inszeniert Mittelstaedt (*1978, Berlin) Objekte und Material aus unterschiedlichsten Themenfeldern und schreibt ihnen dadurch eine neue Bedeutung zu. Dadurch schafft er Bildkompositionen, die sich zwischen Stillleben und Abstraktion verorten und die Grenzen des Mediums Fotografie erkunden und hinterfragen.